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Mein Problem mit Post-Privacy

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Prima leben ohne Privatsphäre? Ja. Aber.

„Prima leben ohne Privatsphäre“ hat Christian Heller sein Buch über Post-Privacy genannt, und das meiste davon kann ich unterschreiben. Er hat im Grunde zwei Thesen:

Erstens:  Die technische Entwicklung des Internet (bzw. der prinzipiellen Digitalisierbarkeit aller Daten) führt unweigerlich dazu, dass das, was wir derzeit als „Privatsphäre“ bezeichnen, verschwinden wird. Einfach deshalb, weil das Bemühen, Daten vor einer Veröffentlichung und damit dem Zugriff der anderen zu schützen, immer aufwändiger wird und negative Begleiterscheinungen hat, sodass es letztlich auf einen Kampf gegen Windmühlen hinausläuft.

Zweitens: Diese Entwicklung hat positive Aspekte, denn sie kann uns zu einer kulturellen Neuausrichtung führen, die letzten Endes nicht weniger, sondern mehr Freiheit mit sich bringt.

Soweit gehe ich im Großen und Ganzen d’accord.

Meine Zweifel setzen an dem Punkt an, wo aus der Verfügbarkeit von Daten Prognosen für die Zukunft abgeleitet werden. Denn hier gerät ein wesentlicher Aspekt aus dem Blickfeld. Verdaten und damit digitalisieren lässt sich nämlich nur Vergangenes, im äußersten Fall die Gegenwart. Die Zukunft steht aber nicht fest. Sie lässt sich auch nur als Wahrscheinlichkeitsrechnung prognostizieren. Alle diese Prognosen sind unweigerlich falsch, weil sie eine grundlegende Fähigkeit außer Acht lassen, die wesentlich zum Menschsein dazu gehört: Die Fähigkeit, Neues in die Welt zu setzen.

Auf die Spitze getrieben schildert Heller die Illusion, Datenbestände in die Zukunft zu katapultieren, am Beispiel eines Science Ficition-Romans (Accelerando von Charles Stross), wo Persönlichkeiten früherer Zeiten „resimuliert“ werden. Die Idee ist: Wenn man nur sämtliche verfügbaren Daten über einen Menschen sammelt, dann kann man – ungeheure technische Fortschritte vorausgesetzt – diesen Menschen irgendwann später wieder „resimulieren“, also neu zusammensetzen.

Ich will gar nicht bestreiten, dass man das vielleicht kann. Aber ich stelle mir vor, ich würde das so machen: Sämtliche über mich verfügbaren Informationen würden irgendwo abgespeichert und ich sterbe. In hundert Jahren wird das dann alles wieder zusammengebaut. Wäre das dann wieder ich? Wäre das die Unsterblichkeit?

Nö. Ich wäre weiterhin so tot wie eh und je, nur eine Simulation meiner selbst würde dann herumlaufen. Das wäre mir aber vollkommen egal, denn ich würde das ja nicht mehr mitbekommen.

Und zwar deshalb, weil es „in mir“ etwas gibt, das sich nicht verdaten lässt. Und  zwar das, was zwar „in mir steckt“, aber gewissermaßen noch nicht rausgekommen ist, sich noch nicht materialisiert hat, und damit auch nicht „verdatbar“ ist und also nicht abgespeichert werden kann.

Nun könnte man das als Spitzfindigkeit abtun, aber das Ganze ist wichtig, weil die „Privatsphäre“ dafür doch wieder entscheidend ist. Und zwar an dem Punkt, wo das „Neue“, das ich in die Welt setzen könnte, gerade erst im Entstehen begriffen ist. Neues kommt ja nicht mit Donnerschlag auf die Welt, sondern in einem Prozess. Und meine These ist, dass es gerade für diesen Prozess des Gebärens von Neuem unabdingbar ist, dass er nicht in der Öffentlichkeit stattfindet.

Nehmen wir zum Beispiel eine Idee, eine Ahnung, eine Intuition, eine Erfahrung, aus der irgendwann vielleicht mal ein neuer Text, eine neue Theorie, ein neues Argument hervorgehen kann – also etwas, das ich dann ins Licht der Öffentlichkeit entlasse. Dieser Prozess von der Idee zur öffentlich vertretbaren „Äußerung“ ist prekär, verletzlich, heikel. Vielleicht ist ja die Idee falsch, die Intiution ein Vorurteil. Vielleicht ist sie sogar gefährlich. Vielleicht hat sie das Potenzial, andere zu gefährden. Vielleicht macht sie die Welt schlechter und nicht besser, wie ich es eigentlich vorhabe.

Meiner Erfahrung nach sind auch solche „falschen“ – oder zumindest teilweise falschen – Ideen notwendig, um etwas Neues hervorzubringen. Und genau dafür brauche ich Privatsphäre. Einen Raum, in dem ich mit Sachen experimentieren kann, die potenziell falsch und gemeingefährlich sind.

Wenn ich etwas Neues erfinde, dann brauche ich auf jeden Fall Austausch mit anderen. Ich muss meine steilen Thesen und unbewiesenen Intuitionen mit anderen diskutieren, muss sie in gegebenen Situationen ausprobieren. Ich kann sie nicht allein in meinem Kopf ausbrüten, sondern ich  muss sie sozusagen in einem begrenzten Feldversuch in Kontakt mit der Welt bringen.

Normalerweise passiert das in geschützten Räumen. In Gesprächen mit Freunden am Küchentisch. In kleinen Treffen mit feministischen Denkfreundinnen. In Texten, die ich in den Computer tippe und dann wieder lösche, bevor die Welt sie gesehen hat. In einem solchen Rahmen kann ich „frei von der Leber weg“ reden. Es ist nämlich nicht so, dass Gedanken im Kopf entstehen, sie entstehen erst beim Sprechen. Ideen formen sich durch die Begegnung mit der Welt. Allerdings nicht mit der ganzen Welt, nicht mit der Öffentlichkeit. Sondern mit einer kleinen Welt. Ich kann sie äußern gegenüber Menschen, die mir wohlgesonnen sind, die mich verstehen, die behutsame und kluge Hebammen für diese Ideen und Gedanken sind.

In diesem „privaten“ Raum reifen diese Ideen dann heran zu etwas, für dessen „Veröffentlichung“ ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Indem ich es der ganzen Welt zumute. Und ab da habe ich es nicht mehr in der Hand, was daraus wird. Wenn eine Idee erst einmal öffentlich ist, können alle damit machen, was sie wollen. Sie können sie missverstehen zum Beispiel. Sie können davon auf eigene Ideen gebracht werden, gute wie schlimme. Genau so charakterisiert Hannah Arendt das Handeln (im Unterschied zum Herstellen und zum Arbeiten) – als etwas, auf dessen Folgen man keinen Einfluss mehr hat, weil nun die Freiheit der anderen zum Zug kommt, die das, was man selbst gesagt oder getan hat, aufgreifen und weiter führen wie sie wollen. Aber man trägt natürlich trotzdem dafür Verantwortung. Deshalb darf man dabei nicht leichtfertig sein.

Deshalb stelle ich es mir sehr problematisch vor, wenn eine Idee schon öffentlich wird, bevor sie das entsprechende Reifestadium erreicht, in dem ich mich dazu entscheide, diese Verantwortung für alles, was daraus folgt, zu übernehmen. Dieses Bewusstsein der Verantwortung für das, was man tut und sagt, ist leider jetzt schon im Internet ziemlich unterbewertet. Ich finde, man muss es kultivieren, also das Bewusstsein für diesen Übergang vom Privaten ins Öffentliche pflegen.

Und zwar besorgt mich dabei nicht einmal so sehr dieser Prozess der „falschen“ Verwendung meiner „falschen“ (weil noch unfertigen) Gedanken, obwohl das schon schwerwiegend genug wäre. Was mich noch viel mehr besorgt ist die Befürchtung, ich könnte solche Ideen vielleicht erst gar nicht mehr hervorbringen. Ich würde die „Zensur“, die mich heute davon abhält, zum Beispiel alles in diesen Blog zu schreiben, was mir durch den Kopf geht, nicht erst an dieser Stelle einsetzen (also bei der Frage: Ist es schon reif zur Veröffentlichung oder noch nicht?), sondern bereits früher, nämlich bevor ich mir die Idee überhaupt irgendwo zu haben erlaube.

Wenn wir in einer Kultur leben, in der jede Äußerung per se öffentlich ist, dann, so glaube ich, schränken wir unser Potenzial zum Hervorbringen von Neuem drastisch ein. Weil wir unweigerlich bei allem die Reaktionen der anderen (und zwar aller anderen) mitbedenken müssen. Weil wir keine Orte mehr haben, an denen wir mit Unfertigem experimentieren können. Dann wird unsere Kultur noch vorhersehbarer, noch langweiliger als sie ohnehin schon geworden ist.

Und dann sind wir tatsächlich nicht mehr wir selbst. Sondern nur noch eine müde Simulation aller unserer Daten.



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